
Ähnlich wie
das Wiener Kaffeehaus, das den fruchtbaren Austausch
zwischen den Künsten, der Literatur und der
Philosophie förderte, stand das Theater der Wiener
Jahrhundertwende symbolisch für den
ästhetischen und theatralischen Lebensstil der
Epoche. In der Habsburger Monarchie gab es eine lange
Tradition des adeligen Mäzenatentums für das
klassische Theater, die dazu führte, dass die Wiener
gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts mehr Enthusiasmus
zeigten für das Theater als die Bewohner anderer
Hauptstädte Europas. Der bekannte Historiker der
Wiener Jahrhundertwende Carl Schorske hat sogar
behauptet, dass in dem letzten Jahrzehnt des neunzehnten
Jahrhunderts keine Politiker die Helden der oberen
Mittelschicht darstellten, sondern vielmehr Schauspieler,
Künstler und Kritiker. Das Theater wurde zu einem
Ersatz für ein Leben, das von Handlungen bestimmt
war. Eine Reihe von Schriftstellern-unter anderem Arthur
Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal-schrieben Texte
für das Theater, die bis heute Teil der
Spielplâne der zahlreichen deutschsprachigen
Stadt-, Landes-, und Staats- oder Bundestheater sind. Das
Vorbild aller bürgerlichen Theater war
natürlich das Wiener Burgtheater, das im barocken
Baustil erbaut wurde als Denkmal einer Epoche, in der das
Theater zum erstenmal als Spiegel der Gesellschaft
fungierte. Das Deckengemälde des großen
Treppenhauses, das 1886-1888 von Gustav Klimt entworfen
wurde, stellt Szenen dar, die die Geschichte des Theaters
erzählen und die Einheit von Theater und
Gesellschaft postulieren. Jenseits der Wienzeile und nur
wenige Schritte entfernt von der Ringstrasse stand eines
der ersten Zentren des volkstümlichen Theaters, das
Theater an der Wien, wo Mozarts Zauberflöte
uraufgeführt wurde und wo zur Wiener Jarhundertwende
Alexandrine von Schönerer die Spielleitung hatte.
Hier wurden auch die Operetten von Johann Strauss
gespielt und das Theater in seiner Funktion als
volkstümliche Unterhaltung gefeiert. Das Interesse
am klassischen wie auch am volkstümlichen Theater,
das die Wiener Jahrhundertwende bewies, war Indiz
für die Kultivierung eines ästhetischen
Lebensstils, der charakteristisch war für die Wiener
Moderne.
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